Skorpionbrut

Ganz junges Projekt, von dem ich noch nicht weiß, ob ich es der Öffentlichkeit zugänglich machen werde oder nur für mich allein behalte.

Genre: Fantasy, Gay Romance
Status: 50% % des Erstentwurfes
Geplante Veröffentlichung: 2019

Eine düstere und grausame Geschichte. Hunger, der nicht zu stillen ist, eigensüchtige Menschenjagd, eingebetttet in ein Fantasyszenario.

Inhalt:

Sein Name ist Robere Moreau, seine Freunde sprechen ihn mit Robby an. Er selbst nennt sich Schwarzer Skorpion Sein Stachel bringt Schmerzen und seinesgleichen sind Beute. Doch ist der Panzer des Skorpions undurchdringlich? Auf den ersten Blick wirkt sein Kamerad Patrice von der Leibgarde wie das gefundene Fressen. Nahezu unfähig scheint er seinen Posten nur aufgrund von Bestechung erhalten zu haben. Doch stille Wasser sind tief und Robere ahnt nicht, dass er sich womöglich einem weiteren Jäger gegenübersteht. Die Geschichte beginnt jedoch nicht zu jener Zeit, sondern an ihrem wahren Anfang, viele Jahre zuvor, als das Unglück seinen Lauf nahm, das noch Jahrzehnte später das Leben von so vielen vergiftet und die Frage aufwirft, wie weit die Schuld des Einzelnen überhaupt reicht – und ab wann auch ein Jäger nur Spielball seines Schicksals ist.

Leseprobe:

Nestkälte
Souvagne, 168 nach der Asche. Waisenhaus Saint Aumery.

Skorpione gebären ihre Jungen in einem Erdloch. Wenn sie zur Welt kommen, gleichen sie ihren Eltern anatomisch so sehr, dass sie Miniaturen von diesen sein könnten. Vom Beginn ihres Lebens an sind sie mit Scheren, Stacheln und Panzer versehen. Nichts Niedliches ist an ihnen zu finden, sie betteln nicht nach Nahrung, sie weinen nicht und fordern keine Liebe. Stattdessen zehren von ihren Körperreserven, während sie geduldig auf die erste Häutung warten. Dann verlassen sie, noch winzig, ihre Mutter und leben allein. Mit jeder Häutung wird der Panzer härter, die Scheren kraftvoller und der Stich tödlicher. Vom Beginn seines Lebens an ist jeder Skorpion mit allem ausgestattet, was er zum Jagen braucht. Vor allem anderen aber – Geduld. Und die Fähigkeit, die extremsten Umweltbedingungen durch pure Zähigkeit zu überstehen.
Robere wurde im Jahr 167 nach der Asche in einer Welt geboren, die kaum freundlicher als das Erdloch eines Skorpiones war. Aufruhr herrschte damals im gesamten Land. Die Agenten der Autarkie, eigentlich eine Spezialeinheit zur Sicherung des Friedens, waren zur größten Bedrohung von Souvagne erwachsen. Es kam zu monatelangen Unruhen, als die Agenten plündernd ihr Unwesen trieben und zu einer Hungersnot. Um der Bedrohung Herr zu werden, wurde der Orden der Himmelsaugen ins Leben gerufen. Ein Staatsstreich durch die Agenten konnte gewaltsam verhindert werden und das war das Ende der Agenten der Autarkie und das Ende der Unruhen im Land. Die Himmelsaugen waren Helden und jedes magisch begabte Kind wollte später einmal Himmelsauge werden. Für Robere und viele andere gewöhnliche Kinder jedoch kam die einkehrende Ruhe zu spät. Ungeachtet der Witterung wurde er im Jahr 168, gerade ein Jahr alt, in einer Kiste vor der Tür das Waisenhauses Saint Amaury abgestellt, da seine Eltern ihn nicht mehr ernähren konnten.
Zumindest war das die Version, mit der man ihn und auch seinen besten Freund und Wahlbruder Boldiszàr abgespeist hatte, der mit ihm dieses Schicksal teilte.
Sie beide waren die einzigen Kinder des Heims, die namenlos nach Saint Aumery gekommen waren, ohne jeden noch so geringen Hinweis auf ihre Herkunft. Robere als Säugling, Boldiszàr als Vierjähriger. In anderen Waisenhäusern hatte es ähnliche Vorfälle gegeben, sagten die Erwachsenen, doch sie sprachen nicht gern davon.
Die Mönche, die das zum Tempel des Ainuwar gehörende Waisenhaus leiteten, hatten die beiden Kinder anhand einer Liste benannt und ihnen jene Namen zugewiesen, die als Nächstes an der Reihe waren. Eine Nummer hätte es nach Roberes Empfinden ebenso getan. Er hatte seinen Namen stets gehasst, der ihm ohne Liebe verliehen worden war. Schließlich hatte Boldiszàr ihm die naridische Form ›Robby‹ vorgeschlagen, die er von Marktbesuchen her kannte und damit konnte Robere besser leben.
Möglicherweise war das gemeinsame Schicksal, der blinde Fleck ihrer Herkunft, die Grundlage ihrer Verbundenheit. Robere und Boldiszàr nannten sich gegenseitig Brüder. Theoretisch war es möglich, dass sie tatsächlich Brüder waren und der Gedanke gefiel ihnen. Die Rolle des Beschützers aber nahm nicht der Große wahr, sondern der drei Jahre jüngere und einen Kopf kleinere Robere. Nicht, weil Boldiszàr unbedingt einen nötig gehabt hätte. Das ging von Robere aus. Wenn er die anderen Kinder malträtierte, um Ihren Gehorsam zu erzwingen, dann im besten Gewissen, seinem Bruder damit etwas Gutes zu tun. Andere Wege, seine Zuneigung auszudrücken, kannte Robere nicht und so wurde er im Laufe der Jahre ein zuverlässiger Schläger. Nach jedem Sieg knufften sie ihre Fäuste aneinander und Boldiszàr schenkte ihm eine selbstgedrehte Rauchstange. Qualmend saßen die beiden Jungs in ihrem Versteck hinter dem Holzschuppen und fühlten sich sehr erwachsen.
An seine Kindheit erinnerte Robere sich, abgesehen von der engen Freundschaft mit Boldiszàr, nur wenig. Es war, als ob sein Geist diese Zeit aus seiner Biografie streichen wollte, als sei er schon immer der Leibgardist gewesen, zweiter Mann von Unitè B, als sei er schon mit Rüstung und Bewaffnung zur Welt gekommen, wie die Skorpione es taten. Nein, mit dem Thema Kindheit wollte Robere möglichst wenig zu tun haben und er konnte Kinder auch nicht leiden.
Entsprechend gab es nur sehr wenige Ereignisse aus dieser Zeit, an die er sich im Detail erinnerte. Eines davon war jener Tag, als Boldiszàr krank wurde. Nicht nur ein wenig, mit Schnupfen und Heiserkeit, sondern todkrank.

Beißwerkzeuge

Neun Jahre war Robere alt und Boldi fast zwölf.
Wie es sich für Boldiszàr gehörte, der die Kinder des Waisenhauses anführte, war er aufgrund einer Verletzung krank geworden, die er sich im Kampf mit einem anderen Jungen zugezogen hatte. Bei solchen Auseinandersetzungen ging es für die Verhältnisse von Kindern sehr brutal zur Sache, denn es ging um nichts weniger als das Überleben in dem verarmten und überfüllten Waisenhaus, das sich hauptsächlich über Spenden finanzierte. Meist ging es dabei um Essen, aber insbesondere in der kalten Jahreszeit auch um Kleidung.
Antoine hieß der Rivale, der genau so alt und so stark wie Boldi war, aber keinen Robere hatte, der durch seine Brutalität die Kinder fügsam machte. Antoine war durchsetzungsstark, aber er kämpfte allein. Lange hatte er auf eine passende Gelegenheit warten müssen. Schließlich war der Zeitpunkt gekommen. Robere war gerade zur Strafarbeit in der Küche abgestellt und Boldiszàr stand allein hinter dem Holzschuppen, um heimlich zu rauchen. Mit seinen elf Jahren war er in dem Alter, das Waisenhaus bald verlassen zu müssen. Antoine schlich näher. Bevor ihre Wege sich für immer trennten, mussten alte Rechnungen beglichen werden.
Antoine hatte sich aus Holz ein Messer geschliffen. Das Besteck aus der Küche wurde akribisch kontrolliert und nach den Mahlzeiten von jedem einzeln eingesammelt, denn Eisenbesteck war teuer. Aber auch dieses selbst gefertigte Messer würde seinen Zweck erfüllen. Er kam von hinten herangeschlichen, schlug mit der Faust an Boldiszàrs Kopf vorbei und riss dann die Klinge zurück nach hinten. Boldi war vollkommen überrascht und konnte den Kopf nicht rechtzeitig wegreißen. Das Messer traf ihn in den Mund und Antoine fetzte es seitlich weg. Ein Bogen aus rotem Blut spritzte gegen den Holzschuppen. Das Messer hatte Boldiszàrs Wange über die komplette Breite durchtrennt, vom Mundwinkel bis zu den Backenzähnen. Boldi fuhr mit seinem aufgeschlitztem Gesicht herum und kämpfte um sein Leben. Es wurde eine heftige Prügelei, aber am Ende gelang es ihm, Antoine auch ohne Roberes Hilfe zu vertreiben. Stark blutend kehrte er ins Innere des Hauses zurück, doch aufrecht gehend und nicht weinend. Dies war nicht nur beachtlich für einen Jungen dieses Alters, sondern für die Mönche auch erschreckend. Das Kind hatte die innere Härte eines Soldaten. Robere jedoch war hin und weg. Der Anblick, wie Boldiszàr unbeeindruckt von der Wunde durch die Tür schritt, prägte sich für immer in seinem Gedächtnis ein. Tiefer Respekt erfüllte ihn. In seinen Augen war Boldiszàr genau so ein Skorpion wie er selbst, nur, dass sein Bruder nichts davon wusste. Kein Skorpion vergoss Tränen oder bat um Hilfe und so tat auch Boldi es nicht. Er wusch eigenhändig seine Wunde sauber und legte sich ins Bett, bis ein Mönch kam, um nach ihm zu sehen. Robere saß all die Zeit über bei ihm auf dem Fußende des Bettes, schweigend, wachend.
Nun war das Waisenhaus wegen der Unruhen in den Jahren 167 und 168 noch immer hoffnungslos überfüllt. Für die Kinder gab es nur die notdürftigste Versorgung. Ein Mönch, der in der Heilkunst bewandert war, erbarmte sich, die Wunde zu nähen. Das gestaltete sich als schwierig, denn wegen der vergleichsweise geringen Schärfe des Holzmessers war die Wange mehr zerfetzt worden als zerschnitten. Die vernähte Wunde sah kaum besser aus als der klaffende Spalt. Die Narbe entzündete sich und wollte nicht heilen. Kein Kräutersud, kein Tee und kein Gebet verschaffte Linderung.
Bald lag Boldiszàr mit Fieber im Bett und vermochte nicht mehr, zu den Mahlzeiten im Speiseraum zu erscheinen. Er konnte aufgrund der Wunde nicht sprechen und als Robere ihm aufhelfen wollte, schüttelte er schwach den Kopf. Das machte Robere Angst. Das war nicht Boldi, Boldi war ein Kämpfer! Er konnte doch nicht einfach für immer liegen bleiben! Doch Boldiszàr erhob sich nicht. Und langsam begannen die Kinder, sich Antoine zuzuwenden.
Robere grübelte. Er kam auf den Gedanken, sein eigenes Essen aus dem Speisesaal zum Bett seines Freundes zu tragen, damit dieser etwas zwischen die Zähne bekam. Wenn er von jeder Mahlzeit die Hälfte übrig ließ, würde es für sie beide genügen. Sie würden davon nicht satt werden und noch weiter abmagern, aber sie würden auch nicht verhungern. Zumindest nicht nach Roberes kindlicher Berechnung. Und dann würde Boldiszàr wieder aufstehen. Ja, so würde er das machen.
Gleich zum Abendbrot versuchte er, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Doch eine Hand hielt ihn fest, als er mit seinem halb leer gegessenen Teller aufstand und nicht zum Topf, sondern in Richtung der Tür ging.
Streng sah der Mönch ihn an. »Wo willst du hin? Gegessen wird im Speisesaal. Setz dich und iss auf oder schütte es zurück in den Topf, falls später noch jemand etwas davon essen möchte.«
Es kam nur sehr selten vor, dass die Kinder Essen zurückgaben. Es wurde so gut wie immer aufgegessen und nur ausgekochte und leergesaugte Knochenreste landeten im Müll. Robere blickte zu dem schwarz gewandeten Mönch auf.
»Wenn ich aufgegessen habe, kriege ich dann noch was zu Essen für Boldi?«
»Wer so krank ist, sollte nichts essen«, erklärte der Gottesdiener aus dem Schatten seiner Kapuze heraus. »Es kommt nur Dreck in seine Wunde und das Verdauen ist für einen kranken Körper anstrengend. Wenn Boldiszàr wieder gesund werden soll, muss er ein paar Tage fasten. Sobald er wieder bei Kräften ist, so Ainuwar will, wird er die Treppe hinabsteigen, sich zu uns setzen und dann bekommt er sein Essen.«
Zwei Tage ließ Robere sich von der Erklärung, dass Fasten gut sei, ruhig stellen. Boldiszàr wurde immer schwächer, anstatt dass es ihm besser ging. Er konnte bald kaum noch die Augen öffnen und schlief die meiste Zeit oder war vielleicht sogar ohnmächtig.
Robere schmuggelte schließlich einen Mund voll Hafergrütze hinauf auf das Schlafzimmer. Boldiszàr nahm den Schluck Nahrung zu sich, aber war danach immer noch hungrig. Das reichte nicht.
Düster brütend saß Robere auf seinem Bett. Sein Bruder sah schlimm aus, die zugenähte Wunde eiterte und seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er wälzte den Kopf in Fieberträumen, das Haar klebte schweißnass an seinen Schläfen. In diesem Moment wurde Robere bewusst, dass man Boldiszàr aufgegeben hatte. Keiner der Mönche machte sich noch Hoffnung für seinen Bruder. Das Essen sollte den anderen Kindern zugutekommen und nicht dem Verlorenen. Die Logik war so nachvollziehbar wie kalt. Sie war nicht einmal grausam, diente sie doch dem Wohle aller und vielleicht war die Tat sogar gut gemeint. Doch das Wohl aller war etwas, dass Robere nicht interessierte. Ihn interessierte nur sein eigenes Wohl und das schloss Boldiszàr ein, der einen wesentlichen Beitrag dazu leistete. Er war zu sehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt, um sich Gedanken um Leute zu machen, die ihm egal waren. Um ihn sorgte sich schließlich auch keiner – niemand außer sein Bruder. Und so wachte Robere seinerseits auch über Boldiszàr.
»Die Mönche sagen, dass du nur im Speisesaal essen darfst«, erklärte Robere ihm, ohne zu wissen, ob er ihn hören konnte. »Und so lange du nicht auf eigenen Füßen dorthin gehst, bekommst du nichts. Aber ich hole dir trotzdem was. Versprochen. Aber bis dahin musst du noch durchhalten.«
Robere machte sich auf den Weg zur Küche. Er schaute in den riesigen gusseisernen Topf, aus dem die Mönche die Hafergrütze ausgeschenkt hatten. Er war leer und sorgfältig abgewaschen, genau wie die Kelle und die Schüsseln der Kinder. Nirgends klebte ein Rest. Robere schaute in jeden Schrank und in jede Dose, doch nichts war hier oben zu finden, nicht einmal Zwiebeln oder getrocknete Kräuter. Es war wirklich ein besonders schlechtes Jahr. Er schlich in den Keller zur Speisekammer, von der er wusste, dass dort die Säcke mit Hafer aufbewahrt wurden, aus dem jeden Tag die Grütze gekocht wurde. Manchmal wurde sie mit Obst serviert, dann wieder mit Milch, Gemüse oder Fleisch. In den letzten Wochen hatte es den Haferschleim immer pur gegeben.
Robere zog am Riegel. Die Speisekammer war abgeschlossen. Sie hatte auch keine Fenster. Er probierte eine Weile mit einem Draht herum. Wie sehr er sich auch mühte, es gelang ihm nicht, das Schloss zu knacken. Am Ende versuchte er, die Tür einzutreten, doch sie federte seinen Fuß zurück und bekam nicht einmal einen Riss. Er rammte mit der Schulter dagegen und wurde erneut von dem zähen Holz zurückgeworfen. Hilflos stand Robere vor der verschlossenen Tür und starte auf den unnützen Riegel.
Wenn er Boldiszár retten wollte, musste er es anders versuchen, außerhalb des Waisenhauses. Hier gab es keine Hilfe. Die Mönche halfen einem Todgeweihten nicht und von den anderen Kindern war erst Recht kein Beistand zu erwarten. Entweder man überlebte, dann war es gut, oder man starb und machte Platz für andere, was vielleicht noch besser war in Anbetracht des Mangels. Niemanden kümmerte das Leben und Sterben eines ungewollten Kindes. Doch Robere würde Boldi nicht aufgeben.
Robere begab sich noch einmal in den Schlafraum, wo sein sterbender Freund lag, während die anderen Kinder in Haus und Garten tobten.
»Warte auf mich«, sagte Robere zu dem Schlafenden. »Kann sein, dass es ein bisschen dauert.«
Boldiszàr reagierte nicht. Robere pustete in seine Haare, doch er rührte sich nicht. Übelriechende Wundnässe lief seinen Kiefer herunter. Robere stopfte eine Socke darunter, damit das Kissen nicht noch schmutziger wurde. Ihm war nicht wohl dabei, ihn so wehrlos allein zu lassen. Er würde sich beeilen. Sicherheitshalber versteckte er alles von Boldiszàrs Habseligkeiten, was zum Klauen einlud, ehe er sich umkleidete.
Er zog seine geflickte Jacke über und setzte die Kapuze auf den Kopf, die wie ein Lappen auf seinen Haaren lag, dann stahl er sich von dem Gelände des Waisenhauses davon. Auszureißen war nicht schwer, das taten die Kinder oft. Manche waren nicht wiedergekommen. Die Mönche erzählten, dass sie von Kinderfängern geholt worden seien. Ob das stimmte, wusste Robere nicht. Vielleicht war der Hunger auch zu groß geworden oder die Tristesse der schwarz gewandeten und wortkargen Ainuwar-Mönche. Ainuwar war ein kalter, finsterer Gott, ein Gott des Verstandes. Gefühle hatten bei seiner Anhängerschaft wenig Platz. So verwunderte es nicht, dass es auch in Roberes Herz kalt und dunkel geworden war und wie berechnend er seine Mitmenschen wahrnahm. Dennoch war er nicht völlig gefühllos. Boldiszárs Zustand machte ihm Angst. Doch anstatt weinend an dessen Bett zu sitzen, tat er das einzig Vernünftige – er handelte. Wenn die Mönche ihn je etwas gelehrt hatten, was er für sein späteres Leben brauchen konnte, dann das.
Es nieselte. Nach langem Gehen durch den herbstlichen Regen fand Robere eine Apfelplantage. Sie war abgeerntet und das braune Laub lag in Haufen auf der nassen Wiese. Er suchte jeden Baum ab und fand noch zwei vergessene Äpfel. Die steckte er ein. Aber das würde nicht genügen, um Boldiszàr durchzubringen. Robere spazierte weiter zum Dorfzentrum, um zu schauen, ob er etwas aus den Gärten stehlen konnte, doch die Bewohner kannten die diebischen Waisenkinder und die Lästigkeit, die von ihnen ausging.
Ein Mann, in dessen Garten er einen riesengroßen Kürbis entdeckt hatte, jagte ihn brüllend mit erhobener Faust davon. So schnell er konnte, rannte Robere, bis die wütende Stimme hinter ihm nicht mehr zu hören war. Dann ging er langsamer weiter. Wo sollte er noch suchen?
Außerhalb des Dorfes setzte er sich auf eine Mauer, deren Stein dunkel war vom Nieselregen. Ihm fiel nichts mehr ein. Er, der keine Zeit hatte vergeuden wollen, um schnellstmöglich das Essen zurückbringen und seinen Bruder weiter vor Antoine bewachen zu können, saß hilflos im Herbst und sein Kopf war leer.
Robere weinte nicht. Er hatte sehr zeitig gelernt, es sich abzugewöhnen. Stattdessen war er wütend. Wütend auf die Mönche, die nichts taten, außer ihrem finsteren Gott zu dienen, wütend auf den Mann im Dorf, der nicht aussah, als ob ihn der Verlust des Kürbisses in den Ruin gestürzt hätte, wütend auf die Arbeiter, welche die Apfelbäume so gründlich abgeerntet hatten und vor allem wütend auf sich selber, weil er dem einzigen Menschen, dem er etwas bedeutete, nicht helfen konnte.
Da sah er etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Eine Katze, das Fell struppig vom Regen, durch den Herbstregen streunend wie Robere. Genau so schwarzhaarig, genau so suchend, genau so hungrig. Ein einsamer Jäger. Wenn zwei Jäger sich trafen, jagten sie entweder gemeinsam oder der eine fraß den anderen auf. Und in Robere erwachte in diesem Moment das Bewusstsein, dass er jagen musste.